28.5.2025
Im Ruhrgebiet gibt es viele Schätze zu bergen
Engagement und Empathie bei den BildungsTandems in Gelsenkirchen-Mitte
„Es fällt auf, dass hier an dieser Schule viel durch die gute Beziehung zu Lehrkraft und Schulsozialarbeit gelernt wird. Umso schöner, dass diese Jugendlichen in eine Rolle gegangen sind, in der sie auch auf Beziehungsebene Jüngere begleiten“, sagt Anika Anders bei ihrem Besuch an der Hauptschule an der Emmastraße in Gelsenkirchen.
Anika Anders ist Bildungsreferentin bei der GLS Zukunftsstiftung Bildung und heute hier, um ein Training mit den Coach*innen im Programm BildungsTandems durchzuführen. Auf der Basis von Peer-Learning erleben sich ältere und jüngere Schülerinnen und Schüler im Programm als starke Partner füreinander. Die Älteren durchlaufen zunächst ein Trainingsprogramm, das sie fit macht für ihre Rolle als Coach und Vorbild für Grundschulkinder. Diese BildungsTandems treffen sich dann regelmäßig und werden durch die GLS Zukunftsstiftung Bildung über ein Schuljahr hinweg begleitet. Die RAG-Stiftung ist seit März 2022 Hauptförderer des Programms.
Im heutigen Training geht es um die Reflexion erlernter Kompetenzen, um das Thema Schulübergang und um Resilienz stärkende Übungen. Außerdem steht die Nachbesprechung eines außergewöhnlichen TandemTreffens an, dass die Coach*innen mit den Grundschulkindern in der Stadtbibliothek durchgeführt haben. „Lesen ist eine wichtige Basiskompetenz, darum freuen wir uns, dass dem Thema hier in dieser BildungsTandems-Gruppe so viel Beachtung geschenkt wird und sogar eine Kooperation zwischen den beiden Schulen und der städtischen Bibliothek gelungen ist“, sagt Anika Anders. Die Jugendlichen hatten dort gemütliche Lese-Ecken für ihr TandemTreffen zur Verfügung gestellt bekommen, mit viel Platz und vor allem viel Lese-Stoff. 10 Coach*innen und mehr als 20 Grundschulkinder erlebten zunächst gemeinsam eine Vorlese-Geschichte, die eine Mitarbeiterin der Stadtbücherei für sie vorbereitet hatte, bevor die Tandems sich dann selbst ans Lesen machen konnten.
Eine Coachin grinst, als sie davon erzählt: „Es war schon ganz schön anstrengend, die Kinder zum Lesen zu motivieren, aber wir haben sie immer wieder ermuntert, ihnen Bilder dazu gezeigt und dann hat es doch gut geklappt.“ Neben den verschiedenen Lese-Methoden, die die Coach*innen im Programm BildungsTandems kennengelernt haben, hat ein Coach mit seinem Team sogar einen eigenen Trick entwickelt: „Wir haben für unsere Gruppe eine Lesemethode erfunden – die Echo-Methode. Dabei liest immer eine Person etwas vor und die anderen wiederholen das Wort ganz schnell hintereinander wie ein Echo. So prägen sie sich die Wörter gut ein und haben auch noch Spaß dabei.“
Die Hauptschule an der Emmastraße hat einen Schulsozialindex von 9 (siehe „Kurz & knapp“) und liegt im Stadtbezirk Gelsenkirchen-Mitte. Dort, wo laut dem „Factsheet Kinder- und Jugendarmut in Deutschland“ der Bertelsmann Stiftung die Armutsquote von Kindern und Jugendlichen bei 42 Prozent liegt – keine Stadt in Deutschland hat eine höhere Quote.
„Es ist schwer für uns hier in Gelsenkirchen. Wir haben unter unseren Schülerinnen und Schülern so viele Schätze“, sagt Lehrerin Andrea Bappert und zeigt auf die BildungsTandems-Coach*innen, „aber wir können diese Schätze gar nicht alle bergen, weil wir die Ressourcen nicht haben.“ Bappert begleitet das Programm BildungsTandems als Koordinatorin an der Hauptschule an der Emmastraße mindestens genauso engagiert wie es ihre Schüler*innen füllen. Ihrer Einschätzung nach liegt ein zentrales Problem bei zu großen Klassengruppen: „Bei einer Schule wie unserer braucht man kleinere Klassen, um auf Beziehungsebene miteinander arbeiten zu können. Wir haben hier teilweise 29 oder 30 Kinder pro Klasse, das ist dafür viel zu viel. 30 Prozent weniger Schüler pro Klasse wären 80 Prozent weniger Probleme im Schulalltag.“
Die „Schätze“, von denen Bappert spricht, sind heute im Training der BildungsTandems nicht zu übersehen. Alle Coach*innen sind mit Engagement und Eifer bei der Sache, vor allem auch mit Empathie bei „ihren“ Grundschulkindern. „Ich arbeite mit einem Jungen zusammen, der eine Lese-Rechtschreib-Schwäche hat, und ich habe das selbst auch“, erzählt eine Jugendliche aus ihrer BildungsTandems-Gruppe. „Ich konnte mich darum gut in ihn hineinversetzen und so hat das mit dem gemeinsamen Lesen bei uns besser funktioniert.“
Bald steht die Abschlussfeier für die BildungsTandems 2024/2025 an und eine Coachin zieht jetzt schon ein positives Fazit: „In den BildungsTandems waren wir geduldig mit den Grundschulkindern, aber die Kinder waren auch geduldig mit uns. Sie haben sich viel Mühe gegeben, mitzumachen. Aus dem Projekt nehme ich mit: Es lohnt sich immer, respektvoll im Umgang mit anderen zu sein.“
