Wie erkläre ich Kindern den Krieg? Wie gestalten wir Begegnung?

Im Gespräch mit der Kinderpsychotherapeutin Andrea Berger 
23. März 2022

Der Angriffskrieg, den Russland gegen die Ukraine führt, ist täglich in den Medien präsent. Und viele geflüchtete Kinder sitzen inzwischen neben neuen Nachbarkindern in den Schulklassen und nehmen am Unterricht teil (allein in NRW sind es 24.000 – Stand 8.6.). Sie sind willkommen, verständigen sich mit ersten Worten und sind fit in der Nutzung einer Übersetzungs-App. Aber alle haben Schlimmes erlebt, sind aus ihrer Heimat geflohen und tragen tief in sich seelische Verletzungen. Denn unbeschadet kann kein Kind den Horror der Gewalt und Zerstörung überleben.

Wie können wir diesen Kindern begegnen? Wie erklären wir unseren Kindern, was geschieht? Wie können wir helfend und stärkend Begegnungsräume schaffen? In einer Veranstaltung für Lehrkräfte zeigte die Kinderpsychotherapeutin Andrea Berger, Herten, auf, mit welchem Wissen und welchen Annahmen wir uns auf die Begegnung mit traumatisierten Kindern vorbereiten sollten. Was ist ein Trauma? Welche Symptome gibt es? Mit welchen Folgestörungen ist zu rechnen? Und: Wie sollten sich Schulen auf die Aufnahme der Kinder mit Kriegs- und Fluchterfahrungen einstellen?  

Willkommensklassen und andere Begegnungsräume sollten Sicherheit und Schutz bieten, Selbstwirksamkeit ermöglichen durch Entscheidungsfreiräume, Kinder könnten zu Mitgefühl für die „Gäste“ angeleitet werden, eine Kultur des Entdeckens von Stärken (Russischkenntnisse z.B.), des Lobens, der Akzeptanz von Andersartigkeit könnte gemeinsam entwickelt und in die alltägliche Praxis kommen. Alles hilft, die verletzten Lebensbedingungen von Selbstakzeptanz, von Selbstfürsorge und von Autonomie neu zu erwecken. Es geht um Stabilisierung nach der Flucht und im Angekommen-Sein hier bei uns. Viele kleine Tipps (Geschenke, Namensschilder, Wahl des Sitzplatzes und Patenschaften, Akzeptanz der Entscheidungen von Kindern, Stärken stärken, Ansprechpartner und Zuständigkeiten bestimmen, verbindlich sein u.v.m.) erleichtern den Alltag. Erwachsene üben sich achtsam in Empathie, benennen die Fakten, falls nötig, denn Kinder haben nie Schuld an dem, was passiert. Sie beziehen klare Position und können auf Gesetz und internationale Gerichtsbarkeit verweisen, um Unrecht zu markieren. Hinsichtlich der Gestaltung des Unterrichts sind neben der Aktivierung von Ressourcen die Themenauswahl und die Vermeidung von Hinweisreizen zu vermeiden, durch die Traumata assoziiert werden könnten. 

Integration kann auch dann gelingen, wenn Kinder für die Gäste Verantwortung übernehmen, indem sie für sie als Begleiter im Schulgebäude, bei der Erledigung von Aufgaben und Erklärung von Regeln aktiv sein dürfen. Und: Alle Gespräche über den Krieg und die Flucht brauchen Ruhe und Respekt vor dem, was Kinder preisgeben und mitteilen wollen. Mit der Normalität eines wiederkehrenden Alltags, der von Solidarität aller Begleitenden und von aufbauenden Aktivitäten lebt, kann die innere Widerstandkraft revitalisiert werden. Alle im Schulalltag Handelnden können zur Resilienz der Kinder beitragen. Für schwertraumatisierte junge Menschen muss allerdings zusätzlich therapeutische Hilfe angeboten werden.

PROGRAMMKOORDINATION BERLIN/ ASSISTENTIN DER ABTEILUNGSLEITUNG

Sophie Tenbrink


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